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BALKAN GOES NEW YORK Alexander Andreev Vivianne hat Marko und Bissera zum Abendessen in einer Sushi-Bar eingeladen. Vivianne ist eine Bankfrau von der Westküste, also bricht sie in die Wohnung mit der Wucht eines Pazifiktaifuns ein. Kostüm in Reseda, Seidenbluse, kleine Schildkröte als Brosche, weiße Turnschuhen und eine Flasche Mineralwasser in der Hand. Wir laufen verschlafen herum, in Pyjamas oder in Bademänteln. „Wie läuft’s denn so, Leute?“ Zwischen Zunge und Gaumen sind die fünf Worte so gut geknetet, dass sie als ein Teigklotz schwerverdaulich an die frische Luft kommen. Die Leute, das heißt wir, versuchen die Frage doch irgendwie zu zerkauen - es ist ja nicht einfach, in einem Satz das rasante Herumlaufen in New York zusammenzufassen - mittlerweile aber ist das Gespräch, was Vivianne anbetrifft, schon fortgeschritten: „Wahnsinn! Ich parke ganze zwei Blöcke von hier entfernt, und immer noch im Parkverbot. Diese Stadt ist einfach irre! Ein Demo für Israel, ein Demo für die Palästinenser, und als ob das nicht genug wäre, ein italienisches Fahrradrennen! Wie könnte ich nur so bescheuert sein, ein Auto zu mieten! Übrigens, wo ist das für kleine Mädchen?“ Marko springt hilfsbereit auf und Bissera nützt die Pause aus, um auf Bulgarisch überzuschalten: „Mein Gott, ist das vielleicht eine Bitch! Hast du ihr Diamantenring gesehen? Und dazu trägt sie noch Turnschuhen, die Hexe...“ „Die Hexe, ich habe es gehört,“ flüstert vergnügt Marko aus der Diele. Marko ist Italiener mazedonischer Abstammung und versteht gerade dann Bulgarisch, wo er nicht soll. „Eine Hexe, jawohl, das ist sie,“ zischt seine Frau vor sich hin und zündet eine neue Zigarette an. Vivianne ist eine alte Bekannte von Marko, beide waren Kommilitonen an der Uni in New York. Damals habe sie ihm viel geholfen, erzählt Marko immer. „Ja, ja, alles klar. Die Bekanntschaften und die Hilfeleistungen kennt man ja,“ war Bisseras lapidarer Kommentar dazu. Katharina findet solche Anspielungen unschön, macht aber den Mund nicht auf – immerhin ist Bissera ihre beste Jugendfreundin. „Ich find’ sie durch und durch in Ordnung,“ mische ich mich ein, ohne gefragt gewesen zu sein, wie Katharina meint. Marko lächelt mich freundlich an, dann macht er mit Arm und Hand einer Kobra nach und zischt mit herausgestreckter Zunge Bissera entgegen. „Ja, ja, ich bin eine Schlange, weiß ich doch,“ schmunzelt Bissera. „Du kennst aber das italienische Sprichwort: Vorgewarnt, ist der Ehemann halb gerettet. Also pass’ bloß gut auf!“ Vivianne kommt ins Wohnzimmer zurück, lässt sich auf die Couch hinklatschen und zieht die Turnschuhe aus. „Das Mineralwasser habe ich heute vormittags gekauft und es ist immer noch was drin,“ teilt sie uns mit und hebt die Plastikflasche. „Seid ihr für das Sushi bereit, Guys?“ Wir gehen doch alle, oder? Jesus, diese Wohnung ist bestimmt fünf Millionen wert, was meint ihr?“ Ich zucke mit den Schultern. Will heißen, die Immobilienpreise in Upper Manhattan sind mir weder geläufig, noch sonst wie interessant. Und die Wohnung gehört ja nicht uns, sondern der italienischen Bank, für die Marko tätig ist. Katharina, die eine Zeit lang den Reiseführer studiert und Routen mit einem grünem Marker nachgezeichnet hatte, versucht jetzt – sie ist doch eine Halbdeutsche – Ordnung ins Gespräch zu bringen: „Marko hat uns erzählt, dass Sie für eine Investmentbank in San Francisco arbeiten...“ Inzwischen hat sich Vivianne wieder auf die Beine gemacht und studiert die Fensterrahmen. Offenbar um den Preis um eine Million oder so herab-, beziehungsweise herunterzusetzen. So, wie es aussieht, braucht sie keine dreißig Minuten, um die Wohnung, samt vierköpfiger, verkaterter Gesellschaft, zu kaufen und weiter zu verkaufen. Eigentlich dreiköpfig, denn Katharina trinkt grundsätzlich keinen Alkohol. „Schon lange nicht mehr renoviert... Ja doch, in Frisco. Da kann man richtig loslegen. Mehr Sonne, mehr Platz. Und die japanische Kuisine ist viel, viel besser als in New York. Hier lebt man ja wie in einem Käfig.“ „In einem goldenen Käfig,“ füge ich zusammenhangslos hinzu. Vivianne aber findet meine Bemerkung sehr lustig. Sogar der Kristalleuchter klirrt von ihrem Lachen. Marko knipst sie mit der Kamera und sie findet das noch lustiger. „Hey, Marko, bist du etwa ein Papparazzo oder so?“ brüllt sie wie beim Fußballspiel und tritt ihn kumpelhaft in den Hintern. Fertig mit der Zigarette, schleppt Bissera ihre Hausschuhe in Richting Küche. Kaffe aufsetzen. Es war eine lange Nacht in Greewnich Village. Katharina versucht, etwas loszuwerden – dass wir beide vom Restaurant fernbleiben würden oder dass sie immer noch für die Einzelheiten des Investmentbankings in San Francisco lebhaft interessiert sei – gibt es aber dann auf. Vivianne hat diese und alle anderen Fragen sowieso schon längst vergessen. Momentan ist sie mit der Bausubstanz und mit der Wartung der Klimaanlage beschäftigt. „Will jemand Kaffee?“ ruft Bissera aus der Küche. Ich will keinen Kaffee, habe ich doch, nachdem ich als erster gegen zwölf Uhr aufgestanden bin, bereits einen Liter zu mir genommen. Das selbe gilt für Katharina, sie will ja nur weg aus der Wohnung und dalli zu den grünmarkierten Routen im Reiseführer. Nur Vivianne meint, der Kaffee sei eine gute Idee. „Schwarz, bitte, kein Zucker, keine Milch. Und keine Photos mehr!“ Wieder Gelächter, wieder Kristallklirren. Marko geht in die Küche, um Bissera zu helfen, während Katharina und ich, in Verlegenheit geraten, unsere New-York-Hausaufgaben brav abspulen: äußerst interessant, diese Stadt, man kommt ja quasi mit Vorurteilen belastet hierher, man kennt ja dies alles aus dem Kino, es ist aber total anders, auch die Leute hier, so was von lebendig und vital, und die Stadt selbst, alle zwei Blöcke ist sie anders, von China Town fast übergangslos in die Wall Street... „Ich will aber nicht mit dieser Bitch ausgehen, ich will’s einfach nicht, Marko!“ kindisch trotzig rebelliert Bissera in der Küche. „Aber nicht doch, Bissera, die Frau ist sehr nett...“ Jetzt redet auch Marko Halbmazedonisch, Halbbulgarisch. Das heißt, er flüstert – vielleicht unser entwegen, denn Vivianne kann ihn sowieso nicht verstehen. „Und der ganze Japsenscheiß, du weißt schon, das Fischding, ich nenn’s nicht beim Namen, die Hexe hört ja zu,“ lamentiert Bissera munter weiter. „Gestern im Lebensmittelgeschäft, da habe ich einen sehr komischen Typen kennengelernt,“ versuche ich, die Aufmerksamkeit von dem sich in der Küche anbahnenden Streit abzulenken. Vivianne hört freundlich zu. Sie versucht mich sogar mit energischem Kopfnicken zu ermuntern, denn mir fehlen sowohl die passenden englischen Wörter, als auch einige Namen. Typisch bulgarisch, ärgert sich Katharina im stillen, Vivianne aber ist offenbar dabei, sich vor lauter Ermunterung das Genick zu brechen. Letztendlich – und wie immer – greift mir meine Frau unter die Arme: „Dieser Typ habe erzählt, er sei befreundet mit Jack Nicholson, mit Woodi Allen, mit Jessey Norman und noch jede Menge Berühmtheiten. Er würde an ihren Biographien mitarbeiten oder so ähnlich, habe er Ewgeni erzählt.“ „Dabei hatte er unzähligen Flecken auf dem Jackett und war vielleicht eine ganze Woche nicht mehr unter der Dusche,“ füge ich wichtige Einzelheiten hinzu. „Mein Gott, ist das nicht aufregend!“ freut sich Vivianne, die gar nicht so genau zugehört hatte. „Das also zum Thema New York,“ fasse ich zusammen. Und damit scheint das Gespräch endgültig auszutrocknen. Bissera erscheint mit dem Kaffee und mit den dunklen Augenringen. Der resignierte Marko läuft ihr mit einem Milchkännchen nach. Scheinbar hat sich der Streit nicht zu Gunsten von Vivianne und dem Sushi entwickelt. „Also, einen Whisky könnte ich vielleicht vertragen, oder?“ Meine Frage ist rhetorisch gemeint, allerdings schauen alle Bulgarisch sprechenden automatisch auf die Uhr. Siebzehn Uhr. Vivianne versteht zwar kein Bulgarisch, schaut aber solidarisch mit auf die Uhr. „Jesus!“ springt sie von der Couch auf. „Es ist ja fünf Uhr! Marko, wir sollten schnellstens einen Tisch reservieren.“ Ich ahne bereits eine ungünstige Entwicklung. „Vivianne, ich nehme einen Scotch. Machst du mit?“ Katharina guckt mich böse an. Such dir bloß kein Alibi für einen Whisky um fünf Uhr nachmittags, blitzt es aus ihren Augen. Die grün nachgezeichneten Routen im Reiseführer scheinen in weiter Ferne zu verschwinden. Ja, ein Scotch sei auch eine gute Idee, sagt Vivianne, ja, auf Eis, bitte. „Also, Leute, wollt ihr etwa in Pyjamas ausgehen? So eine Art von Sushi-Pyjama-Party, oder?“ Und wieder klirrt der Kristalleuchter. Hinter Viviannes Rücken bläst Bissera höhnisch ihre Wangen auf und buchstabiert lautlos ein Wort mit „i“ in der Mitte. „Bitch“ oder vielleicht „verpiss dich?“ Ist ja egal. Vivianne hantiert bereits energisch mit ihrem Handy. Im Unterschied zu Bissera stören sie keine langen Fingernägel dabei. Vor dem Kühlschrank stoße ich auf Marko. „Bissera will nicht ausgehen,“ flüstert er verzweifelt mit den tropfenden Eiswürfeln in der Hand. „Und wir wollten eigentlich nach Brooklin, mit der U-Bahn hin und zu Fuß über die Brücke zurück,“ kläre ich ihn auf. „Kommt doch mit in die Sushi-Bar, bitte, bitte, bitte!“ fleht er mich an. „Dann wird bestimmt auch Bissera mitmachen.“ Im Wohnzimmer versucht Vivianne lauthals, ihrem Gesprächspartner einen Tisch zu späteren Stunde abzuzwingen. Und mir wird übel nur vom Wort „Sushi“, dabei habe ich bereits Hunger. Mit den Drinks und mit einem kräftigen Schluck unterwegs kehre ins Wohnzimmer zurück. Bissera hat sich eine neue Zigarette angezündet und rührt gelangweilt mit dem Löffel in ihrem Kaffee. Katharina steht am Fenster und zeigt uns ihren hübschen Rücken. Alle scheinen verärgert zu sein, nur Vivianne nicht. „Heil Hitler!“ bedankt sie sich laut bei mir für den Whisky. Vivianne hat mitbekommen, dass Katharina und ich in Deutschland leben – und da sind ja alle so trübselig, vielleicht wegen Hitler. Marko und Bissera leben in Italien, nur scheint Vivianne nichts passendes dazu einzufallen. Den Tisch hat sie natürlich reserviert, also guckt sie sich mit noch nicht gestillter Organisationslust herum. „Sieg Heil, Nazdrawe, Cin-Cin, Schiweli, Prost – erwidere ich, denn Marko und – nicht zu glauben! – auch Katharina holen sich paar Drinks aus dem Getränkeschrank. Mein munteres Zuprosten bleibt unerwidert in der Luft hängen. Die restlichen drei Europäer sind in bedrückendem Schweigen versunken. Katharinas bulgarische Hälfte studiert melancholisch den Wodka in ihrem Glas. Alle nippen konzentriert an ihren Drinks. Nach dem letzten Schluck Kaffee stellt Bissera die Tasse auf den Kopf, um später den Kaffeesatz zu lesen. Was versteht schon diese blöde Kuh mit den Sprungfedern in den Turnschuhen? „Wo liegt das Problem, Leute?“ fragt Vivianne leicht verwirrt nach der langen Pause. Wir gucken uns verlegen um, dann reden wir. Alle gleichzeitig. Ganz unterschiedliche Sachen: „Wissen Sie, Ewgeni kann kein Fisch leiden...“ „Und wir wollten eigentlich nach Brooklin...“ „Ich habe Migräne, muß noch meinen Yoga machen...“ „Bissera hat ja ihre Freunde aus Deutschland seit Jahren nicht mehr gesehen...“ „Das heißt, aus Bulgarien...“ „Also, es ist nicht so, dass ich überhaupt kein Fisch...“ „Und der Marko hat mir ja so oft von dir erzählt, Vivianne, dass ich...“ „Wir sind zwar ein bißchen müde von gestern abend...“ „Und der Whisky, das war doch keine gute Idee...“ Und wieder Schweigen. Vivianne hebt die Augenbrauen und mustert uns, einen nach den anderen, verständnislos an. Im nächsten Augenblick aber klirrt der Leuchter fast hysterisch von der Decke herunter. „Also, Leute, ihr könnt es nicht anders, was? Hoffnungslos, dieses Europa!“
© Александър Андреев |